Corona-Impfreihenfolge erfordert Einzelfallprüfung – Sozialministerium darf nicht nur auf Impfverordnung verweisen

Das Verwaltungsgericht Dresden hat in einem durch uns vertretenen Verfahren das Sozialministerium aufgefordert, bei atypischen Einzelfällen auf Antrag hin eine von der verordnungsmäßigen Impfreihenfolge abweichende Höherpriorisierung vorzunehmen (Az.: 6 L 42/21).

Mehr zum Fall der Betroffenen

Die Antragstellerin leidet unter einer seltenen Erkrankung, die mit einer ausgeprägten Schwäche der Atemmuskulatur und der Extremitäten einhergeht. Die Pflege erfolgt im häuslichen Bereich im Rahmen einer 24-h-Intensiv-Pflege, die von bis zu acht verschiedenen Pflegepersonen ausgeübt wird.

Die Antragstellerin ist Mutter von drei kleinen Kindern, die im wochenweisen Wechsel von ihr und ihrem getrenntlebenden Ehemann betreut werden. Sie ist deshalb einem ebenso hohen Infektionsrisiko ausgesetzt wie Bewohnerinnen eines Pflegeheims, die nach der Priorisierungsstufe 1 einen Anspruch auf Durchführung der Schutzimpfung haben.

Aufgrund der Erkrankung der 35-jährigen Antragstellerin hätte diese allenfalls einen Anspruch nach der letzten Priorisierungsstufe 3. Realistisch betrachtet wäre hier eine Impfung wohl allenfalls Ende des Sommers möglich. Die Antragstellerin hat deshalb versucht, über die zentrale Rufnummer für die Vergabe von Impfterminen, einen Termin entsprechend der Priorisierungsstufe 1 zu erhalten. Dies wurde sofort abgelehnt, da die Antragstellerin gerade nicht die Voraussetzungen für die Priorisierungsstufe 1 erfülle.

Erlass auf einstweilige Anordnung bewirkt Zulassung als Anspruchsberechtigte höchster Priorität

Wir haben daraufhin bei dem zuständigen Verwaltungsgericht Dresden einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem Ziel der Einordnung der Antragstellerin in die Priorisierungsstufe 1.

Das Verwaltungsgericht Dresden hat diesem Antrag mit Beschluss vom 29.01.2021 stattgegeben und den Freistaat Sachsen verpflichtet, die Antragstellerin für eine Schutzimpfung gegen Corona als Anspruchsberechtigte höchster Priorität zuzulassen und entsprechend der Gründe des Beschlusses bei der Impfreihenfolge zu berücksichtigen.
Die Kammer ging dabei zunächst von der Wirksamkeit der Impfverordnung aus, eine abschließende Klärung müsse in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren erfolgen.
Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles gelangt das Gericht dann zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin ausnahmsweise eine Zulassung zu Schutzimpfung als Anspruchsberechtigte mit höchster Priorität verlangen kann.

Abweichungen von der Impfverordnung im Ermessensspielraum

Anders als das Sozialministerium vertritt das Gericht dann die Auffassung, dass die Impfverordnung in besonders begründeten Einzelfällen eine Abweichung von der gruppenbezogenen Impfreihenfolge zulasse, sodass unter Umständen auch für einzelne Anspruchsberechtigte nachgeordneter Priorität gegenwärtig ein Anspruch auf Schutzimpfung parallel zu den anspruchsberechtigten Personen mit höchster Priorität in Betracht kommen kann.

Das Sozialministerium hat hier grundsätzlich Ermessen auszuüben, wenn von der in der Verordnung genannten Reihenfolge der unterschiedlichen Prioritätsgruppen abgewichen werden soll. Das Ermessen ist dann so auszuüben, dass in besonders begründeten atypischen Fällen, einzelne Personen in eine höhere Prioritätsstufe einzuordnen sind.

Das Verwaltungsgericht hat auch klargestellt, dass diese Entscheidung in der Verantwortung des Sozialministeriums zu sehen ist, da es letztlich um grundrechtlich geschützte Ansprüche geht.
Eine entsprechende Entscheidung kann hier also nicht auf das DRK übertragen werden, das für den Betrieb der Impfzentren zuständig ist.
Im Ergebnis wurde der Antragstellerin dann aufgrund der besonderen gesundheitlichen und familiären Situation ein entsprechender Anspruch auf Zulassung zur Schutzimpfung mit höchster Priorität eingeräumt.

Organisatorische Vorkehrungen bei der Impfstoffverteilung

In dem Beschluss rügt das Gericht auch den Umgang mit Impfdosen, die kurzfristig verimpft werden mussten, da sie ansonsten verfallen würden. So wurden beispielhaft am 19.01.2021 außerplanmäßig im Impfzentrum Dresden 200 Polizisten gegen Corona geimpft.
Auch hier liegt es nach Ansicht des Gerichtes in der Verantwortung des Sozialministeriums, durch geeignete organisatorische Vorkehrungen zunächst Schutzberechtigten der höchsten Priorität eine Inanspruchnahme des rechtlichen Impfstoffes zu ermöglichen.

Sozialministerium Dresden gegen Einzelfallprüfung?

Das Sozialministerium hat sich in dem Verfahren ausdrücklich gegen jede Form einer Einzelfallprüfung ausgesprochen, es bleibt abzuwarten, ob hier nun eine entsprechende Regelung getroffen wird, wie dies in anderen Bundesländern zum Teil bereits durchgeführt wird.
Aus unserer Sicht ist hier dringend ein Verfahren bekanntzugeben, in dem durch eine „Härtefallkommission“ geprüft wird, ob eine höhere Priorisierung notwendig ist.

Sollte den Betroffenen ein solcher Weg nicht aufgezeigt werden, bliebe nur der Weg zum Verwaltungsgericht, das dann erneut prüfen müsste, ob hier ein atypischer Einzelfall vorliegt.

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