Ein Blick auf EU-Recht

Unsere (deutschen) Gesetze sind durchdrungen von europäischer Rechtsetzung, ohne dass dies so ohne Weiteres – schon gar nicht für den juristischen Laien – erkennbar ist. Wie die Rechtsetzung im Zusammenspiel europäischer Organe erfolgt, soll an dieser Stelle nicht behandelt werden. Es würde den Rahmen sprengen. Der heutige Blick gilt nur dem Ergebnis, wobei lediglich zwei Rechtsakte, die Verordnung und die Richtlinie, für den Einsteiger vorgestellt werden.

Von der krummen Gurke zu Abschalteinrichtungen bei Dieselfahrzeugen

Während sich der deutsche „Otto-Normal“-Verbraucher vor Jahrzehnten über europäische Rechtsetzungsakte vornehmlich lustig gemacht hat, partizipiert „er“ (und sie und es) in zunehmendem Umfang von europarechtlichen Rechtsakten und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Verordnungen der Europäischen Union, kurz EU-Verordnungen

Die Verordnung ist schon äußerlich klar erkennbar. Ihr „Erscheinungsbild“ bleibt unverändert. Sie hat meist „überdimensionierte“ Bezeichnungen, die stets eine „abgekürzte“, aber inoffizielle Kurzbezeichnung für den praktischen Umgang erhält, trägt einen Zusatz, der je nach Entwicklungsstadium der europäischen Zusammenarbeit entweder (EWG) – bis Nov 1993 oder (EG) – bis Nov 2009 oder (EU) lautet, gefolgt von der Verordnungsnummer und der Jahreszahl.

Die Verordnung gilt bei Inkrafttreten in allen EU-Ländern unmittelbar, ist in allen Teilen verbindlich und muss auch nicht – wie etwa die Richtlinie – in einzelstaatliches Recht umgesetzt (transformiert) werden. Anders ausgedrückt: Die Richtlinie wird in deutschen Gesetzen (vom deutschen Gesetzgeber) „verpackt“ und damit meist unkenntlich gemacht, was vielfach zu Fehlern bei der Rechtsanwendung durch die Gerichte oder Behörden führen kann und führt.

Fast ein jeder kannte die „Gurkenverordnung“: die VERORDNUNG Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken, gültig ab 01.01.1989.
Auf 5 Seiten sah sie Regelungen vom Mindestgewicht über die Färbung bis zur Krümmung einer Gurke vor, ergänzt um detaillierte Angaben über die Beschaffenheit von Gurken, etwa, dass die Güteklasse Extra und die Klasse I nur eine maximale Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen dürfen.

Gerne „genommen“ auch die sogenannte Fluggastrechteverordnung: VERORDNUNG (EG) Nr. 261/2004.
Auf deren Grundlage können unmittelbar Entschädigungsansprüche gegen Fluggesellschaften bei Flugverspätungen, Flugannullierung und Nichtbeförderung gestützt werden.

Nicht zu vergessen: die VERORDNUNG (EU) 531/2012 – „Roaming-Verordnung“. Telefonieren oder SMS versenden im europäischen Ausland wie zu Hause einschließlich Schutzmechanismen bei Nutzung mobiler Daten.

Richtlinien der Europäischen Union

Diese formulieren regelmäßig nur Ziele und verpflichten die nationalen Gesetzgeber, dass sie diese „Vorgaben“ in nationales Recht umsetzen (transformieren). Die Nationalstaaten erhalten hierzu regelmäßig eine Frist (meist 2 Jahre), wobei diesen die Wahl der Form und Mittel der Zielerreichung überlassen wird. Die Richtlinien „verschwinden“ dann sozusagen in einem „normalen“ nationalen Gesetz, wobei dem Rechtsanwender dadurch verborgen bleibt, dass er es hier mit „Europarecht“ zu tun hat, denn das Warum der gesetzlichen Regelungen interessiert diesen selten.

Die jeweilige Umsetzung durch die EU-Mitgliedsstaaten ist ein wenig wie beim Fleischer an der Theke: Darf es etwas mehr (oder weniger) sein?
Ein Nationalstaat formuliert den Richtlinientext um, der andere „übersetzt“ in Landessprache „wörtlich“, was bei 24 Amtssprachen in der EU trotzdem zu Abweichungen (auch von der Zielsetzung der Richtlinie) führen kann.

Warum wäre die Erkennbarkeit – hier liegt Europarecht vor – wichtig? – Für die Auslegung!

Während bei der Auslegung von Willenserklärungen der wirkliche Wille zu erforschen ist, werden Gesetze vom geschulten deutschen Juristen grundsätzlich nach dem Wortlaut ausgelegt. Nur ausnahmsweise, zur Vermeidung von Widersprüchen, wird – selten – auch auf den Gesetzeszweck und dessen Entstehungsgeschichte o. Ä. zurückgegriffen.

Europarecht ist aber europarechtlich auszulegen, weshalb für „umgesetzte“ Richtlinien die sogenannte „richtlinienkonforme Auslegung“ geboten wäre. Entspricht das nationale Gesetz mit seinen Einzelregelungen der Zielrichtung in der Richtlinie? Die „reine“ Wortlaut-Auslegung wäre schlicht falsch und damit auch die Urteile, weil – aus Unwissenheit – der europarechtliche Ursprung der (deutschen) Norm aus dem Auge verloren ging.

Über die richtige Auslegung deutschen Rechts, das europäische Richtlinien nur umzusetzen hatte, wacht der EuGH (Europäischer Gerichtshof), der aber nur bei Anrufung – unter bestimmten Voraussetzungen – aktiv wird.

Mein Wunsch an den deutschen Gesetzgeber und die zahlreichen Gesetzestextherausgeber

Verwendet für transformiertes europäisches Recht in deutschen Gesetzen doch einfach „blaue“ statt der „schwarzen“ Buchstaben. Im online-Zeitalter dürfte das ja kein Problem mehr sein. Dann wäre Europa auch hier erkennbar!
Und der altbewährte Grundsatz würde wieder stimmen: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.

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