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Erbrecht: Gelegenheit macht Diebe
Im Jahre 2012 verstarb ein hochbetagter Erblasser, der nicht verheiratet war und keine Abkömmlinge hinterließ. Er war bereits Jahre vor seinem Ableben aufgrund geistiger Verwirrtheit in psychiatrischer, stationärer Behandlung und erlitt einen Hirninfarkt. In diesem Zusammenhang wurde eine Rechtsanwältin durch das zuständige Vormundschaftsgericht als Berufsbetreuerin zur Betreuerin des Erblassers bestellt. In der Folgezeit lebte der Erblasser in einer Pflegeeinrichtung, musste sich aber auch weiterhin immer wieder stationären Behandlungen unterziehen.
Wenige Monate nach Einrichtung der gesetzlichen Betreuung erschien auf Veranlassung der Betreuerin eine Notarin bei dem Erblasser in der betreffenden Pflegeeinrichtung und es wurde ein Testament errichtet, wonach die Betreuerin und ein örtlicher Rechtsanwalt, der ebenfalls Betreuungsleistungen für den Erblasser erbrachte, zu jeweils hälftigen Erben eingesetzt wurden. Der Wert des Vermögens des Erblassers wurde mit 350.000,00 Euro in der notariellen Urkunde über die Errichtung des Testamentes angegeben. Die genannte Berufsbetreuerin war bei der Errichtung des notariellen Testamentes persönlich anwesend und hatte die Notarin auch zuvor darüber informiert, dass der Erblasser den Wunsch habe, sie und den besagten anwaltlichen Kollegen zu hälftigen Erben zu bestimmen.
Weder während der dann noch Jahre andauernden Betreuung und auch nicht nach Beendigung der Betreuung durch den Sterbefall des Betreuten informierte die besagte Betreuerin das Vormundschaftsgericht über den Inhalt des vorstehend behandelten, notariellen Testamentes. Nach dem Sterbefall des Erblassers wurden dessen mutmaßliche Miterben bei dem Bankinstitut, bei dem der Erblasser Kontoguthaben und ein Wertpapierdepot unterhielt, unter Vorlage des notariellen Testamentes des Erblassers vorstellig und teilten wohl bereits teilweise dessen Vermögen unter sich auf. Nachdem das besagte Bankinstitut die Vorlage eines Erbscheines verlangte, beantragte die ehemalige Betreuerin und mutmaßliche Miterbin beim zuständigen Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheines, dessen Erteilung letztlich durch das OLG Celle abgelehnt wurde.
Zwischenzeitlich wurden die besagte Betreuerin und auch der miterbende, anwaltliche Kollege Beschuldigte in einem umfänglichen Ermittlungsverfahren der örtlichen Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes der gewerbsmäßigen Untreue.
Das zuständige Nachlassgericht bestellte in der Folge einen Nachlasspfleger für die unbekannten Erben des Erblassers und es kam zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Nachlasspfleger, der ehemaligen Betreuerin und des mutmaßlich miterbenden Rechtsanwaltes über Ansprüche an dem Nachlass. In I. Instanz obsiegte der besagte Nachlasspfleger weitgehend, wobei das in I. Instanz entscheidende Landgericht von einer Testierunfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des besagten notariellen Testamentes ausging. Das OLG Celle bestätigte mit seinem eingangs genannten Urteil diese Entscheidung auch im Hinblick auf die damalige Testierunfähigkeit des Erblassers und gelangte darüber hinaus auch zu der hier besonders interessierenden Feststellung, dass das besagte notarielle Testament des Erblassers gemäß § 138 BGB sittenwidrig sei. Dabei erkannte das OLG Celle in seinem Urteil durchaus, dass das streitgegenständliche Testament des Erblassers nicht wegen § 14 Abs. 5 Heimgesetz unwirksam wurde, weil es sich bei der besagten Betreuerin und dem weiteren mutmaßlichen Miterben nicht um Pflegepersonal im Sinne dieses Gesetzes handelte. § 14 Abs. 5 Heimgesetz regelt sinngemäß, dass der Leitung, den Beschäftigten oder sonstigen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern eines Heimes untersagt sei, sich von oder zu Gunsten von Bewohnerinnen und Bewohnern neben der vom Träger erbrachten Vergütung Geld oder geldwerte Leistungen für die Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Heimvertrag versprechen oder gewähren zu lassen.
Grundlage der Entscheidung konnte auch noch nicht die Regelung des § 30 BtOG (Betreuungsorganisationsgesetz) sein, wonach einem beruflichen Betreuer untersagt wird, von dem von ihm Betreuten Zuwendungen im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen entgegenzunehmen. Denn diese gesetzliche Vorschrift war und ist auch heute noch nicht in Kraft getreten.
Das OLG Celle gelangte zur Annahme der Sittenwidrigkeit des notariellen Testamentes des Erblassers gemäß § 138 BGB, in dem es zunächst eine frühere Entscheidung des OLG Braunschweig vom 04.11.1999, Az.: 2 U 29/99, anführte und sich dessen Inhalt zu eigen machte.
Danach ist der Betreuer ein vom Vormundschaftsgericht bestellter staatlicher Beistand zur Fürsorge in rechtlichen und auch persönlichen Angelegenheiten, wobei der Betreute deshalb vom staatlich bestellten Betreuer auch erwarten dürfe, dass er seine Aufgabe auch ohne die Erwartung besonderer Zuwendungen von Seiten des Betreuten zu dessen Wohl sachgerecht ausübt. Deshalb missbillige das Gesetz, wenn ein Betreuer seine ihm gerichtlich verliehene Vertrauensstellung und seinen persönlichen Einfluss auf den Betreuten dazu benutzt, gezielt darauf hinzuwirken, dass der in Folge seiner geistigen Behinderung leicht beeinflussbare Betreute ohne reifliche Überlegung über erhebliche Vermögenswerte zu Gunsten des Betreuers durch ein Testament vor einem Notar verfügt, der nicht vom Betreuten als sein Berater hinzugezogen ist, sondern vom begünstigten Betreuer.
Für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit reiche es dabei aus, dass sich der Betreuer, der durch die von ihm herbeigeführte letztwillige Verfügung bedacht ist, der Tatumstände bewusst ist, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Diese Voraussetzung sah das OLG Celle als gegeben an, nachdem es das Verhalten als auch die Einlassungen der Beklagten im Einzelnen und detailliert würdigte. Dabei betonte der Senat, dass es die besagte Betreuerin gewesen sei, die die ihr persönlich bekannte und „vertraute“ Notarin beauftragte und, ohne dass dafür ein zwingender Grund ersichtlich war, bei der Aufnahme des Testamentes anwesend war. Die besagte, ehemalige Betreuerin habe die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Erblassers gekannt und wusste spätestens seit dem Tag der Testamentserrichtung, dass sie neben dem weiteren mutmaßlichen Miterben Erbin war und dass der Erblasser auch gar nicht mehr in der Lage war, dieses Testament durch ein eigenes handschriftliches Testament zu ersetzen. Obwohl sie aufgrund der gesundheitlichen Situation des Erblassers dazu deutlichen Anlass gehabt habe, habe sie etwa vor Hinzuziehung der Notarin keinen ärztlichen Rat zu der Frage eingeholt, ob der Erblasser überhaupt noch testierfähig war und ob es im Hinblick auf den kurz zuvor erlittenen Schlaganfall nicht besser gewesen wäre, mit der Errichtung eines Testamentes noch abzuwarten, bis sich die gesundheitliche Situation des Erblassers ggf. stabilisiert und er sich in der besagten Pflegeeinrichtung eingelebt hat. Als befremdlich betrachtete der Senat auch den Umstand, dass die Betreuerin den mutmaßlichen weiteren Miterben, einen anwaltlichen Kollegen, zu einem sehr frühen Zeitpunkt bereits hinzuzog, obgleich in der Sache jedenfalls zu diesem Zeitpunkt dazu noch gar kein Anlass bestanden habe. Ebenso befremdet hat der Senat offensichtlich zur Kenntnis genommen, dass die Anwesenheit der Betreuerin bei der Erstellung des notariellen Testamentes in den Abrechnungen der Betreuerin nicht aufgeführt war, obwohl ansonsten nahezu jede Minute der Tätigkeit dort aufgelistet und abgerechnet wurde.
Offensichtlich hatte der Senat den Eindruck, dass die damalige Berufsbetreuerin und Miterbin alles getan habe, um die näheren Umstände der Testamentserrichtung ebenso wie die Errichtung als solche gegenüber Dritten zu verheimlichen. Auch das Verhalten des weiteren mutmaßlichen Miterben, insbesondere seine Einlassungen gegenüber dem Senat, bestärkten diesen darin, dass hier von einer Sittenwidrigkeit des streitgegenständlichen, notariellen Testamentes des Erblassers auszugehen war. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, dass der Senat auf Befragen dieses weiteren Miterben feststellte, dass dieser offensichtlich im sachlichen Zusammenhang zu seiner anwaltlichen Tätigkeit wiederholt zum Erben seiner Mandanten bestimmt worden war und erhebliche Vermögenswerte in diesem Zusammenhang vereinnahmt hatte.
Fazit: Diese Entscheidung des OLG Celle leistet hoffentlich einen Beitrag dazu, dass die Rechtsprechung in Zukunft testamentarische Begünstigungen von betreuenden Personen, soweit sie aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften nicht bereits untersagt sind, einer kritischen Prüfung unterzogen werden können. Diese Entscheidung ist auch ein Beitrag dazu, dass rechtlich nicht billigenswerte „Erbschleichereien“ zukünftig zumindest teilweise unterbunden werden können.