Arbeitsrecht
BAG-Urteil: Einwurfeinschreiben ohne Auslieferungsbeleg – Kündigung kann scheitern
Was war passiert?
Eine Augenarztpraxis kündigte ihrer Arbeitnehmerin im Juli 2022 per Einwurf-Einschreiben. Die Mitarbeiterin bestritt jedoch im arbeitsgerichtlichen Verfahren den Zugang der Kündigung. Die Arbeitgeberseite konnte nur den Einlieferungsbeleg und den Online-Sendungsstatus („Die Sendung wurde am 28.07.2022 zugestellt") im Kündigungsschutzprozess zum Beweis des Zugangs der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorlegen – den entscheidenden Auslieferungsbeleg hatte sie nicht rechtzeitig bei der Deutschen Post angefordert.
Der Arbeitgeber argumentierte, bereits der Sendungsstatus begründe einen Anscheinsbeweis für den Zugang des Kündigungsschreibens. Die 15-monatige Frist für die Bestellung des Auslieferungsbelegs sei zwischenzeitlich abgelaufen.
So entschied das BAG
Das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 68/24) stellte eindeutig fest: Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus reichen nicht für einen Anscheinsbeweis aus. Ohne Auslieferungsbeleg gilt die Kündigung als nicht zugegangen und damit als unwirksam.
Das BAG begründete dies ausführlich: Der Einlieferungsbeleg beweise nur die Aufgabe bei der Post, nicht aber den tatsächlichen Einwurf in den Briefkasten. Der Sendungsstatus biete „keine ausreichende Gewähr für einen Zugang" und lasse weder erkennen, wer die Zustellung vorgenommen habe, noch zu welcher Uhrzeit oder an welcher Adresse.
Der Auslieferungsbeleg ist ein spezieller Zustellnachweis, den die Deutsche Post beim Versand eines Einwurfeinschreibens erstellt. Er dient als gerichtsfester Nachweis, dass eine Sendung tatsächlich in den Briefkasten des Empfängers eingelegt wurde. Er wird vom zustellenden Postmitarbeiter unmittelbar beim Einwurf der Sendung in den Briefkasten ausgefüllt.
Unterschied zum Einlieferungsbeleg: Während der Einlieferungsbeleg nur den Versand bestätigt, dokumentiert der Auslieferungsbeleg den tatsächlichen Einwurf beim Empfänger durch eine (reproduzierbare) menschliche Handlung.
Welche Rechtssicherheit bietet der Auslieferungsbeleg?
Nach der BGH-Rechtsprechung kann ein Anscheinsbeweis für den Zugang nur dann bestehen, wenn neben dem Einlieferungsbeleg auch eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorgelegt wird. Dieser dokumentiert den tatsächlichen Zustellvorgang mit Datum, Uhrzeit und Unterschrift des Zustellers.
Das BAG ließ jedoch offen, ob es dieser BGH-Rechtsprechung folgen wird (BGH v. 27.09.2016, Az. II ZR 299/15). Selbst mit Auslieferungsbeleg bleibt daher ein Restrisiko bestehen.
Folgen für die Praxis
Als Fachanwälte für Arbeitsrecht weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass Arbeitgeber ihre Zustellungspraxis überprüfen müssen.
Die Beweislast für den Zugang der Kündigung liegt beim Arbeitgeber. Kann er den Zugang nicht beweisen, scheitert die Kündigung – auch wenn sie inhaltlich berechtigt war.
Rechtssichere Alternativen sind:
- Persönliche Übergabe mit Zeugen
- Zustellung durch Gerichtsvollzieher
- Bote als Zeuge für den Einwurf
Arbeitnehmer sollten wissen: Bei bestrittener Zustellung muss der Arbeitgeber den Beweis für den Zugang führen.
Das bedeutet es für Betroffene:
- Arbeitgeber: Auslieferungsbeleg rechtzeitig anfordern oder sichere Zustellmethoden wählen
- Arbeitnehmer: Zugang einer Kündigung kann erfolgreich bestritten werden, wenn nur Einlieferungsbeleg vorliegt
- Bei Zweifeln: Fachanwalt für Arbeitsrecht konsultieren
Das BAG-Urteil stärkt die Rechte der Arbeitnehmer erheblich und zwingt Arbeitgeber zu sorgfältigerer Dokumentation bei Kündigungen.
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