Sechs Praxisleitlinien für Arbeitgeber aus aktuellen BAG-Urteilen

Arbeitsrecht

Arbeitsrechtliche Konflikte kosten Unternehmen nicht nur Geld, sondern auch wertvolle Zeit und Nerven. Dabei lassen sich viele Streitigkeiten durch fundiertes Rechtswissen vermeiden. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelt sich kontinuierlich weiter und setzt neue Standards für den Umgang mit Mitarbeitern. Wer als Arbeitgeber die neuesten Entwicklungen kennt, kann proaktiv handeln und rechtliche Fallstricke umgehen.

Die nachfolgenden sechs Urteile zeigen konkrete Handlungsfelder auf und geben wichtige Orientierung für den Arbeitsalltag. Von Scheinbewerbungen über zweifelhafte Krankmeldungen bis hin zu Vergütungsfragen – diese Entscheidungen haben direkten Einfluss auf Ihre Personalpraxis.

1. Schutz vor „AGG-Hopping“: Kein Entschädigungsanspruch bei Scheinbewerbungen

Das Bundesarbeitsgericht versagt Entschädigungen nach dem AGG für Bewerber, die sich ausschließlich zur Klageerhebung auf diskriminierende Stellenanzeigen melden und kein echtes Stelleninteresse zeigen. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn systematisch identische Bewerbungen eingereicht und zahlreiche Klagen geführt werden (Az.: 8 AZR 21/24).
Für Arbeitgeber heißt das: Bewerbungsprozesse sorgfältig dokumentieren und bei auffälligen Mustern Rechtsmissbrauch einwenden.

2. Indizien statt Gutachten: Wenn Krankmeldungen unglaubwürdig erscheinen

Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden, wenn sie auffällig genau die Kündigungsfrist abdeckt oder der Arbeitnehmer währenddessen Aktivitäten nachweist, die der Krankschreibung widersprechen. Für Zweifel genügen Indizien, vollständige Gegenbeweise sind nicht erforderlich (Az.: 5 AZR 29/24).
Arbeitgeber sollten Indizien für Missbrauch konsequent sammeln und sauber dokumentieren.

3. Befristung per Vergleich: Auch Schriftsatz-Deals genügen

Befristete Arbeitsverträge können auf einen gerichtlichen Vergleich gestützt werden, selbst wenn das Gericht nur einen von den Parteien ausgehandelten Schriftsatz protokolliert. Voraussetzung ist ein echt strittiger Rechtsstreit und gerichtliche Prüfung des Vergleichs (Az.: 10 Sa 818/23).
Wichtig ist, dass der Vergleich tatsächlich strittig war und klar protokolliert wird.

4. Freistellung ohne Jobzwang: Wann Arbeitnehmer keine neue Stelle suchen müssen

Bei einseitiger Freistellung entfällt die Pflicht zur Stellensuche. Ein Abzug wegen „böswilligen Unterlassens“ setzt voraus, dass der Arbeitgeber ein konkretes, zumutbares Stellenangebot nachweist, das der Arbeitnehmer wissentlich abgelehnt hat. Pauschale Vorwürfe genügen nicht (§ 615 S. 2 BGB).
Abzüge vom Lohn sind nur möglich, wenn ein konkretes, zumutbares Stellenangebot nachweisbar abgelehnt wurde.

5. Elternzeit und Extras: Wann Boni und Prämien gekürzt werden dürfen

Während der Elternzeit ruht das Arbeitsverhältnis. Das BAG erlaubt die Kürzung variabler Vergütungsbestandteile (Boni, Provisionen), wenn diese im Arbeits- oder Tarifvertrag eindeutig an tatsächliche Leistung gekoppelt sind. Pauschale Kürzungen von reinen Zugehörigkeitsleistungen sind unzulässig (Az.: 10 AZR 119/24).
Verträge sollten eindeutig regeln, ob variable Vergütungen an Leistung oder reine Zugehörigkeit geknüpft sind.

6. Kündigungsschutz und Jobangebote: Beweislast für zumutbare Arbeitschance

Bei unwirksamer Kündigung ist Annahmeverzugslohn zu zahlen. Ein Abzug ist nur möglich, wenn der Arbeitgeber eine konkret zumutbare Erwerbsgelegenheit nachweist und der Arbeitnehmer diese vorsätzlich abgelehnt hat. Die Beweislast für Angebot und Zumutbarkeit liegt beim Arbeitgeber (Az.: 15 AZR 273/24).
Arbeitgeber tragen die volle Beweislast für konkrete, zumutbare Angebote und deren Ablehnung.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die vorbenannten BAG-Urteile machen deutlich: Erfolgreiche Personalarbeit erfordert mehr als Bauchgefühl. Arbeitgeber müssen ihre Entscheidungen systematisch dokumentieren und rechtssicher begründen können. Pauschale Annahmen genügen den Gerichten nicht.

Handlungsempfehlungen: Etablieren Sie einheitliche Dokumentationsstandards für alle HR-Prozesse. Schulen Sie Ihre Mitarbeiter im Erkennen von Rechtsmissbrauch und verdächtigen Mustern. Überarbeiten Sie Arbeitsverträge, besonders bei variablen Vergütungsbestandteilen, definieren Sie klar, was Leistungs- und was Zugehörigkeitsprämie ist. Sammeln Sie bei Zweifeln an Krankmeldungen systematisch Indizien. Bereiten Sie bei Kündigungen konkrete, zumutbare Stellenangebote vor, falls diese zur Abwehr von Annahmeverzugslohn nötig werden. Investieren Sie in präventive Rechtsberatung – sie ist günstiger als nachträgliche Streitigkeiten.
 

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