Folgende Konstellation führt nicht selten zu erbitterten Auseinandersetzungen:
Ein überlebender Ehegatte heiratet in 2. Ehe und errichtet mit seiner 2. Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament, das seine 2. Ehefrau zu seiner Alleinerbin bestimmt. Allerdings hatte er auch in 1. Ehe ein gemeinschaftliches Testament errichtet, wonach z. B. seine Kinder aus 1. Ehe zu Erben des letztversterbenden Ehegatten bestimmt waren. Er ist der Meinung, dass dieses gemeinschaftliche Testament aus 1. Ehe seine Gültigkeit mit seiner Wiederverheiratung verloren hat. – Weit gefehlt! Später als ein Jahr nach seinem Sterbefall vertreten seine Kinder aus 1. Ehe gegenüber seiner Witwe aus 2. Ehe die Auffassung, entsprechend des gemeinschaftlichen Testamentes aus 1. Ehe Erben nach ihrem Vater zu sein, weil das gemeinschaftliche Testament mit der 2. Ehefrau unwirksam sei.
Grundsätzlich ist zunächst wichtig zu wissen, dass die Schlusserbeneinsetzung der Kinder in dem gemeinschaftlichen Testament mit der 1. Ehefrau sogenannten wechselbezüglichen Charakter hatte und damit bindend war. Ein gesetzlich vorgesehenes Widerrufsrecht des Ehemannes erlosch mit dem Ableben seiner Ehefrau aus 1. Ehe gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Nun befand sich der Ehemann bzw. unser Erblasser in dem Irrtum, dass das gemeinschaftliche Testament aus 1. Ehe seine Wirksamkeit mit seiner Wiederverheiratung verloren habe.
Es wird in Teilen der Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass der überlebende 2. Ehegatte dessen Willenserklärungen in dem gemeinschaftlichen Testament aus 1. Ehe wegen Irrtumes anstelle des Erblassers wirksam anfechten kann, um somit der eigenen Alleinerbenstellung aus dem gemeinschaftlichen Testament während der 2. Ehe zur Geltung zu verhelfen. Diese Meinung beruft sich auf das Anfechtungsrecht Dritter gem. § 2285 BGB für den Fall des Erbvertrages und in der hier dargestellten Konstellation auf § 2079 BGB, der dem Erblasser ein Anfechtungsrecht in dem Falle zubilligt, dass er bei der Errichtung eines Testamentes einen später erst bekannt gewordenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat. Als ein derartiger Pflichtteilsberechtigter komme hier die 2. Ehefrau in Betracht, die ihm selbstverständlich bei der Errichtung seines gemeinschaftlichen Testamentes in 1. Ehe als solche noch nicht bekannt gewesen sein kann. Diese Meinung in Literatur und Rechtsprechung setzt allerdings gemäß § 2285 BGB auch voraus, dass das Anfechtungsrecht des verstorbenen Ehegatten zum Zeitpunkt seines Ablebens aus zeitlichen Gründen im Hinblick auf die einjährige Anfechtungsfrist des § 2082 Abs. 1 BGB noch nicht erloschen war. Dies ist jedoch in unserer oben dargestellten Konstellation der Fall, da die Anfechtungserklärung der 2. Ehefrau erst ein Jahr nach dem Ableben des Erblassers erklärt wurde.
Selbst wenn man jedoch unterstellt, dass diese Anfechtung der 2. Ehefrau noch nicht verfristet wäre, dürfte die inzwischen herrschende obergerichtliche Rechtsprechung und überwiegende Meinung in der Literatur ein Anfechtungsrecht wegen eines derartigen Irrtums verneinen. Dieses, weil es sich nicht um einen insoweit erforderlichen, beachtlichen Inhaltsirrtum, sondern um einen rechtswirkungslosen Rechtsfolgenirrtum handele (OLG Frankfurt, Beschluss v. 01.07.1999, Az.: 20 W 320/98; OLG München, Beschluss v. 28.03.2011, Az.: 31 Wx 93/10). An dieser Stelle sollen weitere und dezidiertere rechtliche Ausführungen im Sinne einer Verständlichkeit der Thematik für einen juristischen Laien unterbleiben.
Fazit: Wichtig ist die Kenntnis darüber, dass ein gemeinschaftliches, rechtlich den überlebenden Ehegatten bindendes Testament nicht quasi automatisch seine Wirksamkeit durch eine 2. Eheschließung und dem Ableben des ersten Ehegatten verliert. Grundsätzlich sollte im Falle einer Wiederverheiratung und der Existenz eines gemeinschaftlichen Testamentes, das während der ersten Ehe erstellt wurde, zwingend eine qualifizierte Beratung durch einen Rechtsanwalt erfolgen, um spätere, unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Um Rechtsunsicherheiten und Streitigkeiten innerhalb der Familie zu vermeiden, sollte aber im Grunde schon anlässlich der Erstellung eines erstmaligen, gemeinschaftlichen Testamentes von Eheleuten geprüft werden, ob die häufig strenge Bindungswirkung für den überlebenden Ehegatten tatsächlich gewollt bzw. für zwingend erforderlich gehalten wird oder ob nicht eine Befreiung von dieser Bindung geregelt werden sollte.