In diesem Beitrag soll diese in der Rechtspraxis sehr häufige Thematik behandelt werden, die durch die jüngere obergerichtliche Rechtsprechung besondere Aktualität gewonnen hat.
Insbesondere Abkömmlinge eines Erblassers, aber auch dessen Ehegatten und Eltern, die durch ein Testament von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen werden, sind nach dem Gesetz pflichtteilsberechtigt, § 2303 BGB. Bekanntermaßen ist der Pflichtteilsanspruch ein Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages, der sich anhand einer Pflichtteilsquote zunächst aus dem wertmäßigen Bestand des Nachlasses errechnet. Darüber hinaus erfasst der Pflichtteilsanspruch insbesondere auch Schenkungen des Erblassers innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall, § 2325 Abs. 1 BGB. Damit der Pflichtteilsberechtigte seinen Pflichtteilsanspruch beziffern kann, gibt ihm das Gesetz einen Auskunftsanspruch mit dem Inhalt, dass er vom Erben ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis und danach bzw. sogleich ein notarielles Verzeichnis verlangen kann, § 2314 Abs. 1 BGB. Weiter steht ihm auch ein Anspruch gegen den Erben zu, dass dieser nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft über mögliche Schenkungen des Erblassers innerhalb von 10 Jahren vor seinem Tode erteilt. Im Grundsatz hat der Pflichtteilsberechtigte nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sich selbst Auskünfte anderweitig einzuholen und ist auf den Erben insoweit weitgehend angewiesen. Wegen des Wertes von Nachlassgegenständen stehen dem Pflichtteilsberechtigten auch Wertermittlungsansprüche gegenüber dem Erben zu, soweit er sich nicht ohne Weiteres mit dem Erben zur Berechnung seines Pflichtteilsanspruches auf Bewertungen verständigen kann, § 2314 Abs. 2 S. 2 HS 2 BGB. Insbesondere wenn gewisse Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Auskünfte des Erben bestehen, bietet sich an, diese Nachlassauskünfte durch einen Notar verzeichnen zu lassen, den der Erbe nach Aufforderung entsprechend zu beauftragen und auch über seine nachlassbezogenen Kenntnisse zu informieren hat. Denn allgemein wird angenommen, dass in einem notariellen Verzeichnis eine höhere Richtigkeitsgewähr liegt, als in einem privat durch den Erben errichteten Verzeichnis.
Der Notar ist über die Entgegennahme von Auskünften und Angaben der Beteiligten hinaus für die Aufnahme dieses Verzeichnisses und seinen Inhalt auch verantwortlich. Zwar wird dabei dem Notar weder die Rolle eines Detektives aufgebürdet, noch werden ihm hellseherische Fähigkeiten abverlangt, falls der Erbe mutmaßlich den Notar nicht ausreichend über die Nachlassbestandteile informiert. Jedoch trifft ihn nach allgemeiner Auffassung auch eine Ermittlungspflicht, deren Umfang jedoch umstritten ist. Mehrere gerichtliche Entscheidungen finden sich mit dem Inhalt, dass bei gewissen Anhaltspunkten der Notar durchaus verpflichtet ist, eigene Auskünfte, etwa bei Kreditinstituten auf der Grundlage einer von dem Erben erteilten Vollmacht, einzuholen. Er ist wohl auch verpflichtet, die Angaben des Erben auf Plausibilität zu kontrollieren.
Die jüngere obergerichtliche Rechtsprechung macht den Umfang der Ermittlungspflicht des Notars davon abhängig, welche greifbaren Zweifel bzw. welche naheliegenden Nachforschungen sich aus der objektiven Sicht eines den Pflichtteilsberechtigten beratenden Dritten aufdrängen (OLG Bamberg v. 16.06.2016, Az.: 4 W 42/16; OLG Koblenz v. 18.03.2014, Az.: 2 W 495/13). Betont wird in diesem Zusammenhang der Zweck des Auskunftsanspruches des Pflichtteilsberechtigten, seiner Beweisnot abzuhelfen. Oft gewinnt der Pflichtteilsberechtigte nach Vorliegen der Auskünfte des Erben den Eindruck, dass dieser wahrheitsgemäß zum realen Nachlass zum Zeitpunkt des Erbfalles Angaben gemacht hat. Dagegen besteht häufig beim sogenannten fiktiven Nachlass, also insbesondere hinsichtlich der Zuwendungen des Erblassers mit möglichem Schenkungscharakter innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall die Vermutung, dass der Erbe Kenntnisse verschweigt oder insoweit nicht ausreichend recherchiert hat, wozu er nach herrschender Rechtsprechung bei entsprechenden Anhaltspunkten verpflichtet ist. Sollte sich das Interesse des Pflichtteilsberechtigten zuletzt auf den besagten fiktiven Nachlass beschränken, biete es sich an, den Anspruch auf das notarielle Verzeichnis ebenfalls zunächst auf diesen fiktiven Nachlass zu beschränken. Das OLG Koblenz hat in seiner oben genannten Entscheidung im Zusammenhang mit dem fiktiven Nachlass als denkbare Ermittlungstätigkeiten die Einsichtnahme durch den Notar in vollständige Kontoauszüge, Sparbücher und weitere Bankunterlagen für einen 10-Jahreszeitraum aufgelistet. Die dortige Vorinstanz hatte einen derartigen Umfang der Ermittlungstätigkeit des Notars noch abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber ausgeführt: „Hier hätte es hinsichtlich der etwaigen Schenkungen insbesondere nahegelegen, Einsicht in die vollständigen Kontoauszüge und sonstigen Bankunterlagen für den 10-Jahreszeitraum zu nehmen oder eine Vollmacht der Auskunftsverpflichteten zur entsprechenden Anfrage bei der Bank einzuholen“ (BVerfG in ZEV 2016, 578, 579). Das OLG München sieht die Einsichtnahme in Kontoauszüge als „jedenfalls zum Kernbereich notarieller Tätigkeit bei solchen Verzeichnissen an“ (OLG München in ZEV 2016, 331, 333). Nun ist allerdings nicht zu übersehen, dass in der jüngeren Literatur insbesondere Notarkollegen betonen, dass dem befassten Notar ein Ermessensspielraum bei seinen Ermittlungen zusteht und der Umfang seiner Ermittlungen vom jeweiligen Einzelfall abhänge, was insoweit sicher zutreffend ist. Es wird weiter betont, dass der Umfang der Ermittlungstätigkeit des Notars und auch die dabei bestehenden Erfolgsaussichten in nicht geringem Umfang von der Mitwirkung des Erben abhängen. Dem Notar stehen eben nicht eigene Ermittlungskompetenzen zu. Deshalb sei der Notar keine „Wunderwaffe“, um Licht in das Dunkel des unbekannten Nachlasses zu bringen.
Überzeugend und auch wohl inzwischen überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist jedoch, dass bei erheblichen Anhaltspunkten für das mögliche Vorliegen von Schenkungen sich die Ermittlungspflichten des Notars intensivieren, also etwa dahingehend zu Bankverbindungen des Erblassers umfangreiche Kontoinformationen bei betreffenden Bankinstituten einzuholen und auch verdächtige Kontobewegungen zu untersuchen und ggf. konkrete Nachfragen an den Erben zu stellen. Sollte der Erbe dabei nicht in gehöriger Weise etwa durch Erteilung von Vollmachten mithelfen, sind dem Notar selbstverständlich die Hände gebunden, er wird jedoch die mangelnde Mitwirkung des Erben im Nachlassverzeichnis anführen, was im Zweifel letztlich dazu beiträgt, dass der Erbe seine Auskunftspflicht nicht erfüllt hat und sich ggf. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Erzwingung dieser Mitwirkungen aussetzt.
Weiter steht dem Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 HS 1 BGB das Recht zu, bei der Aufnahme auch des notariellen Verzeichnisses hinzugezogen zu werden. Unstreitig ist, dass eine Belegvorlagepflicht bzw. Pflicht zur Einsichtnahme bei der Erstellung eines privaten Verzeichnisses für den Erben nicht besteht (OLG Hamburg in MittBayNot 2018, 357). Eine solche Pflicht lässt sich wohl auch nicht über den Umweg über die zur Erstellung des notariellen Verzeichnisses erforderlichen Maßnahmen konstruieren. Bei der Überprüfung der Kontoauszüge würde es sich wie bei der Überprüfung durch den Erben selbst nur um eine Vorbereitungshandlung handeln, die nicht vom Hinzuziehungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB erfasst ist. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass die persönliche Anwesenheit des Pflichtteilsberechtigten oder seines Vertreters bei der Aufnahme des Verzeichnisses bei günstigen Umständen dazu führen kann, dass er selbst Einsicht etwa in Kontoauszüge nehmen kann, die dem Notar vorliegen. Damit kann es gelingen, etwa Kontobewegungen festzustellen, die Anlass für weitere Ermittlungen und auch Nachfragen bei dem Erben geben, weil sie den Verdacht einer lebzeitigen Schenkung des Erblassers im rechtlich relevanten Zeitraum vermitteln. Stimmen in der Literatur gehen soweit, dass der bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses anwesende Pflichtteilsberechtigte oder sein Vertreter sogar ein Recht auf Durchsicht vorliegender Unterlagen und etwa Bankbelegen haben. Dies erscheint allerdings zu weitgehend und wird auch von den Obergerichten nicht so vertreten.
Fazit: Betrachtet man die jüngere obergerichtliche Rechtsprechung, scheint die Geltendmachung des Anspruches des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben auf Erstellung eines notariellen Verzeichnisses über den Bestand des Nachlasses und zu pflichtteilsrelevanten Schenkungen des Erblassers als ein probates Mittel, mindestens eine erhöhte Chance zu sein, Kenntnisse zu erhalten, die ohne die Einschaltung eines Notars nicht bekannt geworden wären. Der Pflichtteilsberechtigte bzw. sein Vertreter sollte jedoch alles tun, um dem Notar auch konkrete Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass sich der Verdacht möglicher, bisher nicht offenbarter Schenkungen aufdrängt. So ist etwa an die Konstellation zu denken, dass der Pflichtteilsberechtigte eine erhebliche und bisher nicht erklärte Reduzierung des Vermögens des Erblassers in seinen letzten Lebensjahren darlegt, die insbesondere auch der Erbe nicht zu erklären vermag. Dann wird letztlich der Notar nahezu gezwungen sein, seine diesbezüglichen Ermittlungspflichten auszuweiten. Tut er dies nicht – er ist dazu auch nicht zu zwingen – steht dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit zur Verfügung, sich auf die Nichterfüllung der Auskunftspflicht des Erben zu berufen, einen vollstreckungsfähigen Titel gegen diesen diesbezüglich zu erwirken, um über die Festsetzung von Zwangsgeld die gewünschte Auskunft von dem Erben zu erzwingen.
Daneben soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Druck auf den auskunftspflichtigen Erben auch dadurch erhöht werden kann, dass von seinem Recht Gebrauch gemacht wird, von dem Erben die eidesstattliche Versicherung der Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Auskunft zu verlangen. Die Gefahr, dass sich der Erbe im Falle einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafbar macht, mag in dem einen oder anderen Fall Wirkung zeigen, wenngleich in der Rechtspraxis doch gefühlt in gesteigertem Umfang die Bereitschaft von Beteiligten feststellbar ist, derartige Risiken in Kauf zu nehmen und gering zu schätzen.