Späte Folgen eines Erb- und/oder Pflichtteilsverzichts

Erbrecht

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 29.10.2008 (Az.: IV ZR 58/07) einen in der Literatur und Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits mit unterschiedlichen Auffassungen diskutierten Problembereich entschieden und ist dabei teilweise von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen. Dieser Entscheidung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine Tochter hatte zu Lebzeiten ihrer Eltern auf ihre Erb- und Pflichtteilsansprüche nach diesen gegen Überlassung eines Grundstückes und Zahlung eines Geldbetrages wirksam verzichtet. Eine Schwester dieser verzichtenden Tochter wurde später durch den letztversterbenden Elternteil enterbt und war somit auf ihren Pflichtteil zurückgeworfen. Sie war der Meinung, dass ihr wegen der Überlassung des Grundstückes und des Geldbetrages durch die Eltern an ihre Schwester im Zuge deren Erb- und Pflichtteilsverzichtes ein sogenannter Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehe.

Zum Verständnis ist zunächst darauf hinzuweisen, dass gemäß § 2325 BGB ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling die Ergänzung seines Pflichtteiles insoweit verlangen kann, als der Erblasser innerhalb von zehn Jahren vor seinem Tode an einen Dritten Schenkungen vorgenommen hat. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 2310 S. 2 BGB bei der Berechnung des Pflichtteiles derjenige mitgerechnet wird, der durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist. Ein Pflichtteil beträgt grundsätzlich die Hälfte des gesetzlichen Erbteiles, so dass im Falle eines Erbverzichtes in dieser Konstellation der Pflichtteil schon dadurch durch Gesetz erhöht wird, dass der Verzichtende bei der Feststellung des gesetzlichen Erbteiles unberücksichtigt bleibt, sich dadurch die gesetzlichen Erbteile der anderen Erben erhöhen und damit auch ein Pflichtteil eines pflichtteilsberechtigten Nichterben. Im vorliegenden Fall profitiert also die pflichtteilsberechtigte Schwester der erbverzichtenden Tochter von diesem Erbverzicht bereits durch die gesetzlich vorgesehene Erhöhung ihres Pflichtteiles.

Wegen dieser Kompensation verneinen die Stimmen in der Literatur und die Rechtsprechung bisher einen über die Wirkungen des § 2310 S. 2 BGB hinausgehenden Pflichtteilsergänzungsanspruch, weil die vorstehend beschriebene Kompensation bereits eine ausreichende Begünstigung der betreffenden Pflichtteilsberechtigten darstelle. Der Pflichtteilsberechtigte soll wegen der, für den Erbverzicht eines gesetzlichen Erben geleisteten Abfindung nicht neben dem erhöhten Pflichtteil gemäß § 2310 S. 2 BGB auch noch einen Ergänzungsanspruch erhalten.

Die Rechtsprechung hatte in der Vergangenheit die lebzeitige Abfindung für einen Erbverzicht immer als unentgeltliche Verfügung im Sinne von § 2325 BGB betrachtet, die einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslöst. Stimmen in der Literatur hatten diese Auffassung geteilt, allerdings mit der Einschränkung, dass sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nur hinsichtlich des Betrages ergeben könne, der über eine angemessene Abfindung für den Erbverzicht angesichts des damaligen Wertes des Erbteiles hinausgehe. Dieser Auffassung in der Literatur hat sich nunmehr der Bundesgerichtshof angeschlossen und damit insoweit seine Rechtsprechung aus dem Jahre 1985 aufgegeben.

Fazit:   Zahlt ein Erblasser zu Lebzeiten eine Abfindung für einen Erbverzicht, kann sich ein später vom Erblasser enterbter Pflichtteilsberechtigter nur dann auf Anspruch einer Zahlung einer Pflichtteilsergänzung wegen dieser Abfindungszuwendung berufen, wenn die Abfindung über den Wert aus Sicht des Verzichtenden hinausgeht, der dem Wert des Erbteiles des Verzichtenden überstiegen hat.
Ein weitsichtiger Erblasser sollte demnach bei der Höhe einer Abfindung für einen Erbverzicht immer berücksichtigen, dass diese Höhe maßgeblich dafür ist, ob zukünftig sein Erbe noch eine Pflichtteilsergänzung an einen Pflichtteilsberechtigten zahlen muss. 

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