Ehrenmord in Deutschland – Zeichen einer mangelnden Integration?

Strafrecht

Für diese Thematik existieren auch in Deutschland viele Präzedenzfälle. Neben einer besonders einprägsamen Entscheidung des Landgerichts Hamburg aus dem Jahr 2009, wird auch auf aktuelle Entscheidungen hingewiesen.

Mit Urteil vom 13.02.2009 (Az.: 621 Ks 17/08) verurteilte das Landgericht Hamburg einen 25-jährigen, afghanisch-stämmigen Angeklagten wegen Mordes an seiner 17-jährigen Schwester zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Das Urteil beruhte auf folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte stammte als ältester Sohn aus einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Die siebenköpfige Familie siedelte 1992 von Afghanistan nach Deutschland über. Die Erziehung der Kinder war von Gewalt und von den afghanischen und muslimischen Traditionen beherrscht.
Insbesondere war die Familienehre als afghanischer traditioneller Wert tief in dem Lebensstil der Familie verwurzelt. Als einen wesentlichen Teil der Familienehre wird dabei auch heute noch die sexuelle Integrität der weiblichen Familienmitglieder angesehen. Gibt es nur einen Anschein einer Verletzung dieser Integrität durch irgendein Fehlverhalten, muss die Familienehre wiederhergestellt werden, was in der Regel dem ältesten Bruder obliegt. Andernfalls kommt es zu einem erheblichen Ansehensverlust aller Familienmitglieder.
Der Angeklagte fiel durch sein aggressives Verhalten bereits in der Schule auf und musste auf eine Förderschule wechseln. Nach dem Schulabschluss zog er mit 18 aus dem Elternhaus. Er neigte – insbesondere unter Alkoholeinfluss – zu impulsiven Wutausbrüchen. Zudem war er bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Während sich die übrigen weiblichen Familienmitglieder an die strengen, islamisch geprägten Regeln hielten, wollte die 17-jährige Morsal, nach dem westlichen Stil wie ihre gleichaltrigen Mitschülerinnen leben. Hierzu gehörte für sie das Tragen von kurzen Röcken, Schminken und Beziehungen zum anderen Geschlecht zu führen. Die übrigen Familienmitglieder missbilligten dagegen diesen Lebensstil und sahen dadurch die Ehre der Familie beschädigt. Sie fürchteten, dies könnte ihr Ansehen bei den vielen in Hamburg lebenden Verwandten beschädigen. Seit Mitte 2005 wurde Morsal permanent von dem Vater und dem Angeklagten kontrolliert, geschlagen und zudem mit dem Messer bedroht. Sie nahm oft polizeiliche und jugendamtliche Hilfe in Anspruch, kehrte aber immer wieder nach Hause zurück. Die Situation eskalierte schließlich im Jahre 2008. Nachdem eine Bekannte des späteren Opfers dem Angeklagten gegenüber erzählte, dass sich diese prostituiere und bei Drogengeschäften mitmache, beschloss der Angeklagte, seine zweitälteste Schwester zu töten, um die sog. Ehre der Familie wiederherzustellen. Der Angeklagte verabredete sich am Abend des 15. Mai 2008 mit dem Opfer unter dem Vorwand, ein Gespräch mit ihr führen zu wollen. Er versetzte dem Opfer mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von ca. 10 cm mindestens 11 Stiche, wobei davon zwei direkt in das Herz eindrangen und tödlich wirkten. Für Morsal kam jede Hilfe zu spät. Sie verstarb am Tatort aufgrund der durch die Messerstiche verursachten Herzverletzungen.

Das Landgericht sah vorliegend die Tötung aus niedrigen Beweggründen als gegeben an. Nach den Urteilsgründen kann dieses Mordmerkmal angenommen werden, wenn sich der Täter aufgrund eines bestimmten Verständnisses von "Familienehre" gleichsam als Vollstrecker eines ihm selbst gefällten Todesurteils über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen erhebt oder allein ein Ehrenkodex als todeswürdig angesehen wird. Für die Bewertung eines Beweggrundes sind dabei die Vorstellungen der deutschen Rechtsgemeinschaft maßgebend. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn der Täter aufgrund soziokultureller Prägung diese Wertung nicht oder nur wesentlich eingeschränkt gekannt hätte und hätte nachvollziehen können. Das Landgericht ging jedoch im konkreten Fall davon aus, dass dem Angeklagten die deutschen Wertvorstellungen bekannt waren, da er in Deutschland viele Jahre lebte und hier zur Schule ging.

Auch neuerlich hat der BGH mit Beschluss vom 09.09.2010 (Az.: 1 StR 376/10) das Ehrenmord-Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 10. März 2010 (Az.: 1 KLs 11 Js 6760/09) bestätigt. Auch hier unterstützte der 47-jährige Vater eines 15-jährigen Mädchens ihre Beziehung zu einem gleichaltrigen Freund nicht. Dabei ging nach den Feststellungen des Landgerichts die Beziehung nicht über das nachmittägliche Treffen mit Händchen halten und Küssen hinaus. Der Vater habe dennoch Angst bekommen, die Tochter könne auf den "falschen Weg" geraten. Er entschloss sich, sie zu töten. Er stach mit einem 30 cm langen Fleischmesser 68-mal auf seine Tochter ein. Sie verblutete noch vor dem letzten Messerstich.

In den genannten Fällen lebten die Familien mehrere Jahre in Deutschland. War hier die mangelnde Integration für diese Unglücksfälle ursächlich? Das kann jeder nach seiner Überzeugung beurteilen. Die deutsche Regierung ist jedoch glücklicherweise mit dem 2005 neu in Kraft getretenen Ausländerrecht aus dem "Nichtstun" in Bezug auf die Integration erwacht. Auch die aktuelle politische Debatte zeigt, dass das Integrationsthema nicht mehr wie in der Vergangenheit als zweitrangig angesehen wird.
Unter diesen Umständen und bei verhaltenem Optimismus könnte man daher darauf hoffen, dass eine verbesserte Integration auch solche "Ehrenmorde" zurückdrängen könnte.

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