Auch wenn auf einer solchen breiten Fahrbahn keine separaten Fahrspuren markiert sind, ist das Nebeneinanderfahren grundsätzlich erlaubt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Fahrbahn so breit ist, dass zwei mehrspurige Fahrzeuge ungehindert nebeneinander fahren können (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 StVO).
Kommt es auf einer solchen Straße vor allem auf dem rechten Fahrstreifen zum Beispiel vor einer roten Ampel zu einem Rückstau, lassen die dort wartenden Fahrzeugführer in der Regel im Bereich von Einmündungen eine Lücke, um dem Querverkehr das Auffahren auf die Straße zu ermöglichen. Gleichzeitig nutzen andere Verkehrsteilnehmer den vorhandenen linken Fahrstreifen, um an der Kolonne vorbeizufahren. Lassen in einer solchen Situation weder der einfahrende noch der überholende Fahrzeugführer die erforderliche Sorgfalt walten, kommt es zum Unfall.
Im Rahmen der Unfallregulierung stellt sich dann die Frage, ob derjenige, der aus der untergeordneten Straße heraus auf die Vorfahrtstraße eingefahren war, wegen des von ihm begangenen Verstoßes vollständig haftet, oder ob den Überholer ebenfalls eine Haftung trifft.
Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hatte in seinem Urteil vom 25.04.2017 (Az.: I-1 147/16) über einen solchen Verkehrsunfall zu entscheiden, wie er sich in Dresden in ähnlicher Form regelmäßig ebenfalls ereignet.
Eine Mithaftung leitet sich im vorliegenden Fall aus der sogenannten „Lückenrechtsprechung“ des Bundesgerichtshofes ab. Das Vorfahrtsrecht des Überholers entbindet diesen nicht aus der aus § 1 Abs. 2 StVO folgenden Verpflichtung, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu vermeiden. Kommt eine Fahrzeugreihe vor einer Einmündung ins Stocken, dann muss derjenige Verkehrsteilnehmer, der diese Reihe überholen will, mit dem Vorhandensein für ihn sichtbarer Hindernisse rechnen und seine Geschwindigkeit darauf einrichten. Vor allem muss er auf größere Lücken in der Kolonne im Bereich von Einmündungen achten und sich darauf einstellen, dass diese Lücken vom Querverkehr genutzt werden. Er muss zudem damit rechnen, dass der eine solche Lücke ausnutzende Verkehrsteilnehmer nur unter erheblichen Schwierigkeiten an der haltenden Fahrzeugschlange vorbei Einblick in den parallel verlaufenden Fahrstreifen nehmen und das Verkehrsverhalten der dort befindlichen Fahrzeugführer beobachten kann. Andererseits darf sich der Einfahrende auch nicht darauf verlassen, dass ein Verkehrsteilnehmer in der wartenden Kolonne ihm durch ein Handzeichen zu verstehen gibt, dass er auf die Vorfahrtstraße einfahren könne.
Fazit: Im Ergebnis hatte das OLG Düsseldorf dem vorfahrtsberechtigten Überholer eine Mithaftung in Höhe von 25 % an dem Unfallgeschehen auferlegt und damit die vorangegangene Entscheidung, die mit der Berufung angegriffen worden war, bestätigt.