Immer häufiger ist festzustellen, dass auch die Tätigkeit des Arztes im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Relevanz durch die Behörden der Strafverfolgung geprüft wird. Diese Thematik ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr niedergelassener Vertragsärzte (wir haben bereits im Newsletter Nr. 7 vom 12.07.2012 darüber berichtet) interessanter geworden. So gibt es derzeit nicht nur in den Medien prominente Beispiele für die Problematik des Dopings als strafbaren Betrug oder die strafrechtliche Verantwortung des Arztes bei der Abrechnung der Behandlungsvorgänge. Nicht selten sind auch die Fälle der Verstöße gegen die ärztliche Verschwiegenheitspflicht oder die gelegentlich auftauchenden Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung des Patientenverhältnisses.
Mit einer anderen Thematik hatte sich zuletzt das Landgericht Gießen (Beschluss vom 28.06.2012) auseinanderzusetzen. Dabei ging es um die strafrechtliche Verantwortung des behandelnden Arztes bei dem Suizid eines Patienten. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
In eine Klinik für Psychiatrie wurde ein Patient mit Suizidgefahr überwiesen. Dabei erklärte der Patient beim Eingangsgespräch, er wolle sich nicht umbringen, befürchte aber, dass er es tun könnte. Der Patient wurde sodann stationär aufgenommen und von der behandelnden Ärztin nicht als suizidgefährdet eingestuft. Daher wurde auch weder die Gabe sedierender Medikamente noch die Wegnahme von Gegenständen des Patienten angeordnet, die für eine Suizid geeignet sein könnten. Am nächsten Morgen wurde der Patient tot in seinem Zimmer aufgefunden, nachdem er sich mit seinem Gürtel im Bad erhängt hatte.
Die Staatsanwaltschaft Gießen führte daraufhin gegen die behandelnde Ärztin ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen und erhob Anklage zum Amtsgericht Gießen. Dieses lehnte jedoch die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Auch das Landgericht Gießen hielt diese Entscheidung mit den Hinweisen, dass zwar in dem vorliegenden Fall Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit des Opfers bestanden hätten (dies war durch ein Sachverständigengutachten festgestellt), jedoch diese Zweifel berechtigterweise im Hinblick auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ (lat. „im Zweifel für den Angeklagten“), keine Strafbarkeit des Arztes begründen können. Hinzu käme der Umstand, dass hier der Arzt trotz seiner Garantenstellung aufgrund des Behandlungsvertrages ein vermeidbares Risiko nicht aktiv selbst geschaffen habe.
Fazit: Im Ergebnis verlief das Ermittlungsverfahren für die behandelnde Ärztin glimpflich. Jedoch ist festzustellen, dass in solchen Fällen eine unmittelbare Nähe der ärztlichen Tätigkeit zur strafrechtlichen Relevanz gegeben ist. Es bleibt daher als Fazit nicht nur, dass dies eine interessante Problematik im ärztlichen Alltag darstellt, sondern auch bereits in solchen Grenzfällen eine anwaltliche Beratung durchaus angezeigt ist.