Das Medieninteresse war vor einigen Wochen noch groß. Nahezu täglich gab es neue Meldungen zur beabsichtigten Reform der Flensburger Kartei. Man hätte den Eindruck gewinnen können, schon morgen würden die Verkehrsvergehen neu und besser bewertet. Nur noch maximal zwei Punkte pro Delikt sind angekündigt. Entsprechend groß fiel die Empörung bestimmter Interessengruppen aus. "Raser und Drängler" – die Stichworte tauchen immer an dieser Stelle auf – würden zukünftig geschont werden. Betrachtet man sich das Reformvorhaben aber genauer, sieht die Sache tatsächlich ganz anders aus.
Punkte bekommen nach dem bisherigen System schließlich nicht nur Raser und Drängler, sondern auch Rotlichtsünder, Unfallverursacher, Unfallflüchtige, aber auch Personen, die aktiv am Geschehen auf der Straße gar nicht mitwirken. Auch als Halter oder als Verantwortlicher für Fuhrparks gerät man in die Gefahr eines Führerscheinverlustes durch Überschreiten der Punktegrenze.
Beispiele: Wer seinen Anhänger, der immer im Garten steht und nur zweimal im Jahr für die Abfuhr von Grünschnitt benutzt wird, nicht zur Hauptuntersuchung vorstellt, kann auch Bußgeld und Punkte bekommen, wenn die Polizei den Hänger nur im Garten stehen sieht. Die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr ist keine Voraussetzung für dieses Dauerdelikt. Wer seinen Mitarbeiter damit fahren lässt, wird natürlich erst recht damit belangt. Schickt er ihn mit Anhänger und Transporter mit LKW-Zulassung am Sonntag los, drohen weitere Punkte. Sind dann noch die Reifen abgefahren oder die Beladungsgrenze überschritten, kommt noch mehr zusammen. Hatte der Mitarbeiter keinen Führerschein, bewegen wir uns auch beim Halter, der die Fahrt zugelassen hat, im Bereich des Strafrechts mit der Folge einer Eintragung von mindestens fünf Punkten. Auch derjenige, der als Verantwortlicher des Fuhrparks einer Fahrtenbuchauflage für alle seine ihm anvertrauten Fahrzeuge nicht ordentlich nachgekommen ist, kann pro fehlerhaftem Fahrtenbuch einen Punkt eingetragen bekommen.
Bislang war das Grundprinzip der Tilgung (in den Medien wurde dies auch oft fachlich falsch als Verjährung bezeichnet) der eingetragenen Punkte in der Bevölkerung durchaus bekannt, litt aber unter einer Zersplitterung von weniger bekannten Ausnahmeregelungen. Alle Punkte fallen weg, wenn zwei Jahre ab der letzten Eintragung nichts Neues hinzukommt. Das gilt aber nur für Bußgeldpunkte, wenn keine anderen Eintragungsarten vorhanden sind. Punkte aus Strafsachen werden frühestens nach fünf Jahren getilgt. Sie verhindern in dieser Zeit auch die Zweijahresregelung bei Bußgeldpunkten. Daneben bleibt aber eine zeitliche Höchstgrenze von Bußgeldpunkten bestehen. Diese liegt bei fünf Jahren. Danach wird immer getilgt, dann aber nur die einzelne fünf Jahre alte Eintragung.
Der "Raser und Drängler", der nur Bußgeldpunkte im Register hatte, kann also mit einer zweijährigen Wohlverhaltensphase zu einer blütenweißen Weste kommen. Die Reform, die nach neuesten Meldungen wohl erst 2014 zu erwarten ist, verspricht nach derzeitigem Stand deutliche Verschlechterungen. Eine Gesamttilgung nach Ablauf von zwei Jahren ohne Verstoß wird es nicht mehr geben. Die Tilgung der einzelnen Tat tritt nur in weniger schwerwiegenden Fällen (das dürften dann die Ein-Punkt-Eintragungen sein) erst nach zweieinhalb Jahren ein. Schwerwiegendere Taten sollen sogar erst nach fünf Jahren entfernt werden. Unklar ist trotz der Vielzahl von Veröffentlichungen noch, welche Taten zu der letzten Gruppe zählen. Man darf vermuten, dass es ausnahmslos die Zwei-Punkte-Eintragungen sein werden.
Viele werden sich die Frage stellen, ob ihre Situation nach dem Umrechnen der vorhandenen Punkte in das neue System besser sein wird. Vermutlich nicht. Eine Einzelbetrachtung der Alteintragungen wird nämlich sicher zu aufwändig werden. Jedenfalls wäre das Kraftfahrtbundesamt damit völlig überfordert. Diskutiert wird daher eine pauschale Regelung nach dem Muster, ein bis drei Punkte alt werden zu einem Punkt neu, vier bis sechs Punkte alt zu zwei Punkten neu usw.
Damit bleiben aber auch Punkte aus Ordnungswidrigkeiten, die nach dem neuen System nicht mehr eingetragen werden (genannt wird als Beispiel immer der Verstoß mit dem Einfahren in die Umweltzone ohne gültige Plakette, obwohl insoweit jetzt Widerstand gegen eine Herausnahme aus dem Punktekatalog aus dem Bundesumweltministerium aufgekommen ist), im neuen System vorerst erhalten. Sie wieder loszuwerden, dürfte deutlich schwieriger werden. Wohl auch deshalb rechnet Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, mit einer um 10 % steigenden Zahl von Fahrerlaubnisentziehungen aufgrund von Überschreitens der Punktegrenze.
Fazit: Zu empfehlen ist daher bis zur endgültigen Klarheit über die neuen Regelungen auf jeden Fall die Punktevermeidung (Wohlverhalten oder im Fall des Falles Einspruch) und Punkteverminderung durch freiwillige Aufbauseminare (bis vier Punkte Bonus) oder verkehrspsychologische Beratung (zwei Punkte Bonus).